Danksagung an Prof. Dr. Christiane Binder
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Das Institut für Sprache, Literatur und Kultur der TU Dortmund bedankt sich ganz herzlich bei Kollegin Prof.in Dr. Christiane Binder, Inhaberin der Professour für anglistische Literaturwissenschaft, die zum 28. Februar 2022 aus ihrem aktiven Dienst ausgeschieden ist. Als Christiane Binder 1994 an die Universität Dortmund kam, war sie die erste Anglistikprofessorin aus der ehemaligen DDR, die an eine Universität in Westdeutschland berufen wurde. Sie hat die Dortmunder Anglistik/Amerikanistik und die Fakultät insgesamt in den zurückliegenden Jahrzehnten auf vielfältige Weise bereichert und geprägt. Gerade in den letzten Jahren war sie wissenschaftlich unheimlich produktiv: Seit 2014 legte sie fünf umfangreiche Monografien vor. Die letzte - mit dem Titel Enjoying, Studying and Using English Picturebooks (2021) - kommt gerade druckfrisch vom Verlag und schlägt einen Bogen zurück zu ihren Wurzeln. Das anhand dieser Monografie zum Ausdruck gebrachte Interesse sowohl an Kinder- und Jugendliteratur als auch an Bilderbüchern ist stark mit ihrer Familie und frühen Sozialisation in der DDR verknüpft, nicht zuletzt, weil sowohl ihre Eltern als auch ihr Bruder freischaffende Illustratoren von Kinderbüchern waren und sind. Nach dem Eintritt in den verdienten Ruhestand wird sich Christiane Binder unter anderem um ihr Enkelkind kümmern und hoffentlich die Zeit finden, ihren vielen anderen Interessen nachzugehen. Das gesamte Institut wird sie als Kollegin vermissen und wünscht ihr alles Gute für den neuen Lebensabschnitt.
Nachfolgend finden Sie den Brief (samt Fotos), den Christiane Binder am 01. März 2022 zum Abschied an die Kolleg*innen der Anglistik/Amerikanistik schickte.
„Hello and Goodbye“
Dear all,
Während sich etliche meiner Kolleg:innen aus der Anglistik/Amerikanistik nun zu weiteren Aufgaben in anderen Bereichen oder Funktionen bereitmachen, verabschiede ich mich schnöde in den Ruhestand. Nach 42 Jahren, 14 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Shakespeares Hamlet studiert signifikanterweise an der Universität Wittenberg!) und 28 an der TU Dortmund sage ich nun Tschüs. Jaaa, es gibt ein Leben nach und außerhalb der Uni, z.B. auch als Oma! Nicht versäumen möchte ich es aber, mich vorher bei Euch/Ihnen allen für die gemeinsame Zeit zu bedanken.
Mein Ruhestand fällt in eine politisch erneut sehr bewegte Zeit. Für mich fühlt sich der aktuelle Russland-Konflikt leider in der Tat wie eine Rückkehr in den Kalten Krieg an, der so prägend für meinen beruflichen Anfang war – bis zur Habilitation. Fast genau die Hälfte meines bisherigen Lebens habe ich im Kalten Krieg verbracht, in drei autoritären Regimen: ich war Schülerin unter Ulbricht, in der DDR Studentin unter Honecker und in der UdSSR unter Breschnew, habe an der Universität Havanna im Kuba unter Castro gelebt, gelehrt und geforscht.
1973, mitten im Kalten Krieg, machte ich mich auf, Englisch und Russisch, eine westliche und eine östliche Fremdsprache zu studieren, die allerdings auch die Sprachen zweier Blocksysteme waren, die sich damals feindlich gegenüberstanden. Naiv, aber von ganzem Herzen, wollte ich damit meinen persönlichen Beitrag zur Völkerverständigung und zum Frieden leisten – als zukünftige Lehrerin. Wer Lust hat, kann darüber mehr im Vorwort meiner jüngsten Monografie Enjoying, Studying and Using English Picturebooks (2021) nachlesen.
Das erste Foto, das ich angehängt habe, zeigt mich im zarten Alter von zwanzig im Herbst 1975 in Woronesch, zu Beginn meines dritten Studienjahres im Teilstudium in der Sowjetunion (dem damaligen stay abroad). Wenn man sich anstrengte, konnte man sein Lehramtsstudium in der DDR bereits in vier Jahren abschließen, hatte also Diplom und Staatsexamen inkl. Großem Schulpraktikum mit 22 in der Tasche. Allerdings waren da 36 SWS zu absolvieren – reine Pflichtveranstaltungen wohlgemerkt. Der wahlweise-obligatorische bzw. fakultative Part begann erst jenseits dieses Pensums. Obligatorischer Teil des Studiums war u.a. auch das sogenannte Zivilverteidigungslager, ein fünfwöchiger Kurs zu Beginn des zweiten Studienjahres in Vorbereitung der Verteidigung der sozialistischen Heimat/des sozialistischen Vaterlandes im Falle eines atomaren Konflikts!
Dass man als Studentin in der Mensa mithalf, das Essen zu kochen, oder als junge Lehrkraft mit seinen Studis jedes Jahr zu Beginn des Wintersemesters in die Kartoffel- oder die Apfelernte fuhr, war auch selbstverständlich. Als junge Lehrkraft gehörte es ebenso zu meinen Aufgaben, bei Lehrveranstaltungen in den Franckeschen Stiftungen bereits Montag morgen um 7 Uhr vor Ort zu sein, um den alten Ofen im Seminarraum mit Braunkohlebriketts zu beheizen, damit meine Studis und ich es dann einigermaßen warm hatten …
Dies nur als kleiner Hintergrund zum Verständnis dessen, was Studium oder akademischer Beruf im Sozialismus bedeuteten. Dass ich dann schließlich, nach der Wende, die erste Professorin der Anglistik werden würde, die, aus der DDR kommend, im Westen berufen würde, war unter diesen historischen Gegebenheiten in keinster Weise vorhersehbar – es lag fernab jeglichen Vorstellungsvermögens und war nicht planbar: Als ich es nach der Promotion mit 25 Jahren, Anfang der 1980er Jahre, zum Beispiel wagte, mit einer ersten Einladung zu einem Gastvortrag nach Cambridge bei der Abteilung für Internationale Beziehungen der MLU Halle-Wittenberg vorzusprechen, erklärte man mir dort nur lapidar, ich solle man stecken lassen – nach Großbritannien würden erst mal ganz andere Leute fahren (Funktionäre, die kein Wort Englisch verstanden!). Als Rentnerin stünde es mir dann ja frei, dahin zu reisen! Ich brauchte also mein wertvolles Einladungsschreiben nicht mal aus der Tasche zu holen. Und fuhr fast weinend, mit zitternder Oberlippe nach Hause. Was sollte ich in den schlappen 35 Jahren bis dahin tun (zu DDR-Zeiten gingen die Frauen mit 60 in Rente), wie mein Leben gestalten? Über die Mauer klettern, mich den Umständen anheimgeben, depressiv werden? Nun, ich habe mich für etwas anderes entschieden (liegt in meiner Jane Eyre-Natur: Unrecht macht mich wütend und fordert stets meine Gegenwehr heraus!): unter allen Umständen das für mich Menschen-Mögliche zu versuchen, mich nicht mit dem zufrieden zu geben, was das System meinte, mir zugestehen zu wollen/vorschreiben zu müssen, sondern meinen persönlichen Glücksanspruch und Anspruch auf Sinnhaftigkeit im Leben doch noch irgendwie, und wenn auch nur ansatzweise, zu verwirklichen!
Okay, die Geschichte verlief dann glücklicherweise anders am Ende des nachfolgenden Jahrzehnts: mitten in der Habilitation brach die DDR zusammen. Und da war ich dann also in Dortmund im April 1994 – schon lange vor der Rente im Westen! Und es hat mich mit Stolz und großer Freude erfüllt, diese Ost-West-Vermittlerrolle in Dortmund auszufüllen. Das erste Mal im Leben hatte ich, mit 38, endlich die Chance, das, was ich beruflich und für meine Studis als richtig, wichtig, sinnvoll und nachhaltig erachtete, ohne staatliche Willkür umsetzen zu dürfen. Für diese einzigartige Chance bin ich sehr, sehr dankbar.
Leider sind aktuell nun aber wieder politisch Dinge eingetreten – dieses Mal negative! - die so auch kaum vorhersehbar waren: der Versuch, die Uhren wieder auf den Kalten Krieg zurückzudrehen. Gut ist gewiss, dass viele merken, Demokratie, Freiheit und Frieden wollen verteidigt, nicht nur selbstverständlich-gleichgültig hingenommen werden. Da gibt es zur Zeit trotz der vielen traurigen Dinge, die die politische Krise mit sich bringt, sehr viel Ermutigendes. Sehr berührt hat mich auch in einem kürzlichen Fernsehbericht: eine junge Ukrainerin und eine junge Russin, beide Teilnehmerinnen an einer großen Protestdemonstration, beide nebeneinander stehend und mit dem Reporter Deutsch sprechend, mitten in Berlin. Für jemanden, der sein ganzes Leben mit den Fremdsprachen Englisch, Russisch und Spanisch verbracht hat und das Glück hatte, in und mit diesen Sprachen und dann auch in den Ländern, in denen sie gesprochen werden, ganz verschiedene Seiten seiner Persönlichkeit ausleben zu dürfen, ist das eine sehr beglückende Botschaft. Sprache kann ambivalent und sehr willkürlich sein; sie kann einlullen, verdecken, verschleiern, bedrohen, manipulieren, Existenzen vernichten, uns von den Realitäten des Lebens entfernen. Aber sie kann uns auch der Dinge bewusst werden lassen, sie kann Freude und Rausch sein, sie kann verbinden und Distanzen mindern. All das habe ich Jahrzehnte nach meinem Russland-Aufenthalt in meinem Buch Reise nach Moskowien: Russlandbilder aus dem Kalten Krieg (2006) verarbeitet. Und in meiner Arbeit mit Studierenden und Kolleg:innen von der Southern Federal University Rostov-on-Don, unserer Partneruni, praktiziert. Ein wundervolles Gefühl, wenn man in solchen persönlichen Kontakten Humor in drei Sprachen miteinander teilen kann!
Euch allen, für die der Ruhestand noch weiter weg ist, wünsche ich nun weiterhin ebensoviel Freude im Beruf. Die Bedingungen dafür ändern sich ja ständig. Mögen sie sich weiterhin so gestalten lassen, dass für Lehrende und Studierende trotz aller Hindernisse und Erschwernisse immer etwas Erfreuliches und Befriedigendes entsteht. Dazu braucht man Kraft, muss die eigene Batterie immer wieder aufladen. Foto Nr. 2 zeigt mich mal ganz exemplarisch 2019 in Verona (anlässlich einer Aufführung der Oper „Aida“ in der Arena di Verona). Euch/Ihnen und mir wünsche ich solche ‚italienischen Momente im Leben‘ (es können aber durchaus auch französische, kubanische, englische, russische etc. sein!). Ein bisschen mehr ‚Verona‘ für alle!
Lieben Dank auch für die Geschenke, die Ihr/Sie mir zur Verabschiedung gemacht habe/haben. Das alles hat mich sehr gefreut! Das dritte Foto zeigt den wundervollen Blumenstrauß, der mir gestern zu Hause zugestellt wurde.
Herzlich, Christiane (Binder)