20 Jahre Nobelpreis für Literatur
Elfriede Jelinek gehört zu den bekanntesten und bedeutendsten Autorinnen der Gegenwart. Spätestens seit ihr der Nobelpreis verliehen wurde, 2004, vor nunmehr genau zwanzig Jahren, ist sie dem internationalen Publikum bekannt. Ein Wunder eigentlich, denn ihre Prosa ist sperrig, die Dramen skandalös, die Arbeiten für das Radio Nischenprodukte. Und doch wird sie gegen alle Widerstände, vor allem aus dem Heimatland Österreich, gelesen und gehört. Dafür gibt es gute Gründe. Jelineks besonderen Stil etwa, den sie seit den Anfängen in der Popliteratur bis zu so erfolgreichen Romanen wie Die Klavierspielerin (1983) oder Lust (1989) entwickelt hat. Oder ihr Gespür für politische Themen, dem Terrorismus (Ulrike Maria Stuart, 2006 sowie Das schweigende Mädchen, 2014) und dem ökonomischen Liberalismus (Die Kontrakte des Kaufmanns, 2009). Darüber hinaus spielt ihr Engagement für die Rechte von Flüchtlingen und die Freiheit des Denkens eine Rolle.
Weniger bekannt hingegen ist Jelineks Tätigkeit als Übersetzerin, obwohl sie dieser seit ihren literarischen Anfängen nachgeht. So erschien in der österreichischen Avantgarde-Zeitschrift Manuskripte schon 1976 ein erster Abdruck aus Jelineks laufender Arbeit an der Übersetzung von Thomas Pynchons Gravity’s Rainbow, jenem epochemachenden Roman, den sie in einem begleitenden Essay zugleich kommentiert und reflektiert. Dem entstehenden Text gibt sie den Titel Die Enden der Parabel. Eine Formulierung, die in ihrer Kongenialität weit über jede einfache Form der Übertragung hinausweist, schließlich spielt sie in der Doppeldeutigkeit der Parabel auf die mathematische Kurve genauso an wie auf die gleichnishafte symbolische Erzählung. Daran zeichnet sich ab, dass Jelinek in der Auseinandersetzung mit Pynchon auch die eigene Poetik weiterentwickelt: „Im Grunde ist das Übersetzen eine faszinierende, kreative Arbeit, weil das Produkt der Arbeit letztlich immer ein anderes ist als das Original. Es wird ein neues Werk. Die Übersetzung schmiegt sich an das Original wie das Lamm an den Wolf.“ Jelinek und Pynchon werden zu Komplizen auf der Suche nach der ästhetischen Form.
Das kleine Jubiläum der Verleihung des Nobelpreises lädt dazu ein, sich einmal nicht mit den ‚großen‘ Werken und Themen der Autorin oder dem Nimbus Pynchons als ‚Phantom der Literatur‘ zu beschäftigen, sondern mit ihren alltäglichen Schreibarbeiten, zu denen neben der Rezeption und Produktion von Texten auch die aufwändige Tätigkeit des Übersetzens gehört.